Festival „La Guitarra Erl“: Flamenco, Spiegelbild des Lebens

 

Festival „La Guitarra Erl“: Flamenco, Spiegelbild des Lebens

Zum Finale des Festivals „La Guitarra Erl“ ließ Flamenco-Star Vicente Amigo den Konzertsaal erbeben.

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© HauserVicente Amigo und sein Ensemble bescherten beim Festival „La Guitarra Erl“ einen Flamenco-Abend der Extraklasse.

Von Markus Hauser

Erl — Ob die Flamenco-Gitarristen unserer Zeit es wollen oder nicht: Gemessen werden sie am 2014 verstorbenen Jahrhunderttalent Paco de Lucía. Wie kaum ein anderer hat er den Flamenco revolutioniert und den Anspruch der stetigen Erneuerung betrieben. Eine museale Beweihräucherung des Flamencos lag ihm fern, ebenso die Veränderung um der Veränderung willen. Volksmusikalische Einflüsse aus aller Welt waren ihm ebenso Inspiration, wie er auch Klassik und Jazz in sein Schaffen einfließen ließ.

Einer, der sich auch schon in die Liste der besten Flamencospieler aller Zeiten eingetragen hat, ist der 1967 geborene und in Córdoba in Südspanien aufgewachsene Vicente Amigo. Am Samstagabend gastierte der Gitarrenvirtuose und Komponist im Rahmen des von der Kärntner Gitarristin Julia Malischnig programmierten 1. Internationalen Gitarrenfestivals „La Guitarra Erl" im Festspielhaus. Unter dem Motto „Memoria de los Sentidos" war es eine Hommage an den legendären Paco de Lucía.

Wie dieser lotet Amigo die genreübergreifenden Möglichkeiten aus und begreift Flamenco als Spiegelbild des Lebens mit seinen Höhen und Tiefen und den facettenreichen Zwischentönen. Er stand schon mit dem argentinischen Rock- und Jazzmusiker Pedro Aznar, dem algerischen Raï-Star Cheb Khaled und Sting auf der Bühne.

Dass der Flamenco unzweifelhaft vom Einfluss diverser Stile profitiert, scheint auch für Amigo zu gelten, dass er letztlich aber mit den Impulsen von außen nur aus sich selbst heraus erneuert werden kann, ebenso. Wie eine Sevillana, Palmas, Bulería, Soleá etc. funktionieren, Amigo hat es im kleinen Finger.

In seiner instrumentalen Üppigkeit und Expressivität käme der Flamenco auch ganz gut ohne Gesang und Tanz aus. Ursprünglich jedoch diente die Gitarre nur als Begleitung für beide.

Folgelogisch durfte man den 2001 für sein Album „Ciu­dad de las Ideas" mit dem Lati­n Grammy ausgezeichneten Spanier nicht nur als Solist erleben. Im Verein mit Añil Fernández (Gitarre), Paquito González (Percussion), Ewen Vernal (Bass), Rafael de Utrera (Gesang) und Antonio Molina „El Choro" (Tanz) war es letztlich Flamenco originär und zugleich aus dem Jetzt und Heute: technische Brillanz, rasende Akkordwechsel, fingerbrecherische Läufe, mitreißende Rhythmik, inbrünstige Leidenschaft, höchste musikalische Sensibilität und Traditionsbewusstsein.

Über all den vibrierenden, flirrenden und feurigen Klängen war sie jedoch stets vernehmbar — die reich an Schattierungen und feinsinnigen Arrangements festgemachte Poesie. Keine legendäre „Friday Night in San Francisco", aber eine ungemein packende und wahrscheinlich legendäre „Saturday Night in Erl".

Paco de Lucía hätte nicht nur seine Freude daran gehabt, sondern er hätte wahrscheinlich zu seiner Gitarre gegriffen und …

 

 

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Tiroler Tageszeitung

Erscheinungsdatum des Artikels